Über die Geister die mich riefen

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Oft kann ich mich nicht entscheiden. Ich überlege, blicke in die Welt und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. In mir malt ein ästhetischer Geist, doch prallt er beständig auf Unhöflichkeit. Ich bin nun an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich lange genug dieses Hin und Her unreflektiert geschehen lassen habe. Oft frage ich nun also was es ist, das mich immer wieder fordert, sobald das Außen zu mir durchdringt. 

Zunächst fand ich Sicherheit in meinem Innern. Einem Ort, an dem ich zweifelsfrei gleichsam zuhause bin, der jedoch weder in Ort noch Zeit lokalisierbar ist. Es gab hierbei schon immer zwei Perspektiven. Jene, die sagt, das Diesseits sei das Ausschließliche, das Reale, und jene, die im Jenseitigen den Ursprung all dessen findet, was im Diesseits so real scheint.  

Nun, wie dem auch sei, in meinem Innern finde ich einen ästhetischen Geist. Ich bin dort nicht allein. Vielmehr begleitet mich ein sanfter, romantischer Hauch. Legt sich auf meine Gedanken und bringt mich dazu, sie auszuformulieren und dabei auf meine Wortwahl zu achten. Jener Geist befürchtet nicht, aufgrund seiner Worte zur Rede gestellt zu werden. Das verkörpert sich nur im Außen. Nein, dieses in meinem Innern lebende sucht das Schöne schlicht aus sich selbst heraus. 

Liebt es, die Dinge in einem anderen Licht darzustellen, das Ästhetische in allem zu finden und selbst dem kleinsten Hauch eine heilige Bedeutung zu geben. Doch gerade hier tritt die Welt einen oft mit Füßen. Denn während im Innern ein Geist meine Welt mit magischen Bildern und feinen Worten malt, hämmert die Realität mit plumpem Proletentum auf das ersprießende Grün meines zarten Weltenbaumes. 

Lange habe ich mir das gefallen lassen. Wirklich lange. Eigentlich mein ganzes Leben lang. Wurde aus ängstlichem Desinteresse dafür mit Steinen beworfen und verlor über die Jahrzehnte den Mut zu funkeln. Doch wofür? Letztlich wurden die Stimmen von Außen so durchdringend, dass sie den malenden Geist im Innern in all ihre Schranken wiesen. 

Und wo früher der Schöpfung reine Essenz durch Kinderaugen glitzerte, hing bald schon der schale Nebel der Gleichmachung über den Pupillen. Worte sind wie Stiche mit einem Messer, das direkt in die Seele sticht. Zwar treffen sie dich zunächst nicht im Außen, doch gerade im Innern richten sie den Schaden an, der dich dein ganzes Leben beschneidet. Um so letztlich doch Teil deiner Biologie zu werden. 

Doch ich will hier keine Tirade mehr über das, was war. Es ist lange Zeit her und niemanden trifft die Schuld. Es liegt in der Natur des Schönen im richtigen Moment zurückzutreten um das Maß des Vollkommenen nicht zu überschreiten. Daher verzichtet es auch auf den Kampf um die Oberhand und gibt nach, wo es am klügsten ist. 

Das ist auch der Grund, warum die Welt ist, wie sie ist. In jedem von uns lebt dieser ästhetische Geist, der nach Liebe fragt. Doch ist es nicht seine Art sich aufzudrängen, daher verliert er sich all zu schnell hinter zu vielen Narben der Vergangenheit. Zu oft wurde er dafür gezeichnet, was er ist, so dass er wie bei mir nur dann zum Vorschein kommt, wenn er sich in Sicherheit wähnt. 

Dann sprießt er blitzartig genau wie Osterblumen in frühlingshafter Morgenröte. Doch ist er zart. Und bis er sich zu einem wundervollen Baum des Lebens entwickelt, steht ihm eine Welt mit vielen Aggressoren entgegen. Jenen Winden, die ihn später zu dem Baum wachsen lassen, an dessen Rinde die Klingen des Lieblosen kein Durchdringen mehr finden. Bis hier hin ist es jedoch ein Weg durch viele Orkane. Stürme, die ihm alles abverlangen werden, wenn er nicht zu Beginn schon im Keime erstickt wird. 

Jedenfalls bin ich nun an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich zurückblicke auf all das, was mir widerfahren ist. Es gibt jene, die sagen in meinem Alter fiele der Rückblick leicht, da er erst so kurz ist. Da er keine Katastrophen erleben musste und mit einem goldenen Löffel geboren wurde. Ich für meinen Teil denke, wenn es erst Alter und Katastrophen braucht, um mit Reflektieren zu beginnen, dann gilt das offenbar nicht für mich. 

Ich denke rückblickend betrachtet lief alles schon so, wie es am besten war. Und auch wenn ich weder alt noch katastrophal bin, hab ich einige Momente erlebt, die sehr tiefe Spuren in meiner Geschichte hinterlassen haben. Doch bis heute habe ich die Richtung halten können, auch wenn ich das Ziel nicht kenne. Ich strebe noch immer nach dem Schönen in der Welt. Nach dem Zarten und Feinfühligen, nach dem Spitzen und Funkelnden, nach dem Weiblichen in allen Dingen. 

Einfach, weil es das schöne Geschlecht ist. Weil es mich auf schöne Gedanken bringt, schöne Bilder und schöne Momente, schöne Worte. Das Männliche ist seiner Natur nach kantig und vielmehr ungeschliffen. Zwar ist es scharf und analytisch, doch damit nur verletzend, wenn es sich gegen das Feine richtet, statt von ihm geschliffen zu werden. 

Hier stehe ich also und kann nicht anders. Ich will mich outen! 

Ich bin ein Schöngeist. 

Ein Geist, der das Schöne sucht und im Erschaffen des Gleichen seine Bestimmung findet. Ein Geist, der von weiblicher Ästhetik geschliffen und männlicher Härte zu jenem Diamanten wurde, in dessen Brillanz sich all die Vielfalt einer schöpferischen Energie widerspiegelt, um sich wie das Leuchten der Sterne in meiner Seele glitzernd auszudrücken. 

Mit anderen Worten: Die Welt ist ein Chaos. Ein einziges Hin und Her aus Unentschlossenheit. Und während ich mein ganzes Leben dafür kritisiert wurde, nicht stumpf wie ein Brett zu sein, erbreche ich mich heute darüber, was ich alles hinunterschlucken durfte. Und heute stehe ich hier, weiß um so mehr, dass ich nichts weiß und dennoch findet sich hier eine Gewissheit: 

Ich bin eben doch ein Schöngeist und ich weiß, du bist es auch. 

Stößt auch du zu uns? 

Luca Merkle