Über eine wunderschön komplizierte Freundschaft

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Ich will es versuchen. Nun schon zum dritten Male am heutigen Abend. Es ist ein Gefühl in meiner Brust. Bahnt sich seinen Weg durch meinen Körper und droht mich wahnsinnig zu machen. Bislang begnügte es sich damit von mir gesehen, ja aufmerksam beobachtet worden zu sein doch nun... Ich will sagen, ich gab stets mein Bestes.

Dieses Gefühl, es ist schwer zu beschreiben. Und vor Allem wem?

Wer liest diese Zeilen? Bin ich es eines Tages selbst? Oder verschwinden sie in der anonymen Unendlichkeit aller unausgesprochenen Gedanken? Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, es gibt ein Gefühl in mir. Ein sehr starkes und dennoch kaum greifbares Gefühl. Es ist das Gefühl das mich an jedem meiner Morgende weckt und ebenso meine Augen des Nachts schließt. Es ist jenes Gefühl das am Anfang jedes meiner Worte steht. Der Impuls mein Herz zu erheben und im Raum zu bestehen. Ja, letztlich ist es mein Lebensgefühl. Mein ganz eigenes Gefühl davon am Leben zu sein.

Es ist mir gleich was hiermit geschieht. Dies sind die Zeilen eines Mannes. Eines Jungen mit 26 Lebensjahren Erfahrung auf diesem verwirrenden Planeten und seinem Computer.

Ich stelle mir vor, ich werde eines Tages an dieses Leben denken. Werde mich fragen was es war und warum. Werde mich fragen ob es das Wert war und wofür. Ich sehe es vor mir. Genau diese Szene. Es war einer der ersten Gedanken meines Lebens. Stiller Begleiter meiner Kindertage. Ratgeber aller Schultage und letztlich der Dämon meiner Jugendjahre.

 

Was soll ich sagen, ich lebe mit dem Tod seid ich am Leben bin und er ist ein schwieriger Freund. Berät mich selten eindeutig doch stets mit Geduld und am Ende behält er immer Recht. Kaum einer der diese Freundschaft versteht. Zu seltsam sich täglich mit toten Gedanken zu beschäftigen. Verurteilende Blicke haben mich oft in Ecken getrieben. In einsamen Stunden war es der Tod persönlich der mich davon Abhielt zu ihm zu kommen:

"Geduld mein Kind, du kommst früh genug."

 

Doch letztlich war er es, der all die unbeantwortet Fragen väterlich beantwortete während andere zu tun hatten. Funktionieren mussten, in einer Welt die den Tod vergessen hat. Die vor ihm davon läuft obwohl er ohnehin am Ende wartet. Dabei spendet er Trost sobald du ihn lässt. Empfängt dich stets mit warmen Armen.

 

Den Tod an meiner Seite wuchs ich anders auf als alle in meinem Umfeld. Keiner der das sah was ich sehen konnte. Keiner der fühlte was ich fühlen konnte. Schon früh führte der Tod Menschen an meine Tür um mit mir zu sprechen. Über die Welt, Gott und über einen Tod nach einem Leben. Mein Geist nährte sich an diesen Begegnungen. Heute verstehe ich den Tod.

 

Er ist es, der nicht aus seiner Haut kann. Nicht anders kann als zu sein wer er ist. Denn wo ein jeder seinen Träumen nach jagt, ist es doch stets er, der sie beenden muss. Wie sollte er sich fühlen? In Ewigkeit dazu verdammt das letzte Erwachen zu sein.  Von allen gehasst und beständig unverstanden. Ein letztes Sein ohne Freunde.

 

Ich bin ehrlich. Was bedeutet mein Leben? Welches Recht habe ich zu leben?

Die Welt ist so hektisch, und ich gestehe ich bin lange schon abgehängt. Verschlief den Start und hinkte schon nach den ersten Metern zurück in mein Bett. Den Tod in meinem Nacken flüstert er mir liebevoll in mein Ohr:

"Die Erde ist rund, sie kommen wieder."

 

Was das alles soll? Ich frage noch aus rhetorischen Gründen, doch vermute ich allmählich keinen mehr Sinn dahinter. Alles steckt im Chaos und die Menschen im Streit. Dabei wäre es so einfach. Erinnerten wir uns an die Freundschaft die wir einst mit dem Leben pflegten und die daraus folgende Wertschätzung unseres letzten Begleiters.

 

Du denkst vielleicht, was interessiert mich das jetzt? Nun Menschen machen eigentlich alles aus nur zwei Gründen. Entweder weil sie Angst vor dem Tod haben oder aus Liebe. Klingt komisch aber wenn du den Tod kennst, verstehst du was ich meine. Die Menschen können sich jedoch selten die Angst vor dem Tod eingestehen, daher wirkt es oft so kompliziert. Da will man die Erwartungen der Eltern erfüllen, oder der Freunde. Vielleicht sogar die Eigenen oder die der Gesellschaft in welcher man lebt.

 

Oder warum machst du deinen Job? Etwa aus Leidenschaft? Fragst du mich diese Frage, entgegne ich: Welchen Job? Ob du es mir glaubst oder nicht, aber ich glaube im Leben geht es darum den perfekten Platz zum Sterben zu finden. Und da du nicht weißt wann es soweit ist, solltest du stets auf der Hut sein, dich zumindest in der Nähe davon aufzuhalten. Das hat folgenden Vorteil: Akzeptierst du den Tod als ständigen Begleiter alá Memento Mori, dann betrachtest du deinen Stadtpunkt immer von der Perspektive aus, aus welcher du deinen Letzten Atemzug tätigen würdest und ob jenes Gefühl, dass du im Moment hast, jenes ist, mit welchem du aus diesem Leben scheiden willst.

 

Du findest das klingt anstrengend? Oder schwer? Ja das ist es. Es ist verdammt schwer, aber nur weil die Meisten so tun als gäbe es den Tod nicht. Und wofür? Um dann die Familie wegen Torschlusspanik zu zerstören, an erniedrigenden Krankheiten dahinzuraffen und am Ende allein zu sterben. Gut. Wenn dir das leichter vorkommt, entscheide selbst.

 

Ich für meinen Teil konnte mir vom ersten Tag meiner Bewusstwerdung nicht aussuchen woran ich glaube. Ich hatte nicht wie du die Entscheidungsfreiheit. Nein, der Tod zeigte mir vom ersten Moment seine kühle Analytik, seine bestechende Logik. Wenn du tot bist, dann bist du Tod! Was soll man auch dazu noch sagen. Doch gerade daher lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Charakter "Tod". Denn er ist ein vielseitiges Wesen. Gerade im Anblick ewiger Wiederkehr. Ebenso Unendlich und allwissend. Zeitlos und neutral. Ein Freund ohne Urteil. Mit gutmütigen Augen und wohlwollendem Blick. Liebevoller Stimme und verständnisvollen Ohren. Was willst du ihm erzählen, dass er nicht schon weiß? Wofür sollte er dich verurteilen, was er nicht schon zahllose Male ereilt hat. Wofür du dich schämen was ihm nicht schon passiert?

 

Wie dem auch sei, das Gefühl mit dem Tod befreundet zu sein ist ein Seltsames. Es begleitet mich seid meinen ersten Bewegungen und wird mich noch ins Grab bringen. Es ist ein Gefühl von Geduld, Freiheit und unendlicher Ruhe. Doch auch von Schmerz, Tränen Losgelöstheit und Liebe.

 

Der Verlust von Liebe ist immer Schmerz, doch gerade im Tod liegt so viel Liebe. Aber in all der Hektik unsere Welt treffen wir stets nur bei Beerdigungen aufeinander: Zu schade, dass wir uns immer zu solchen Anlässen treffen...

Ich hasse diesen Satz. Dass es überhaupt solche Anlässe braucht um sich zu sehen beweist letztlich nur die Liebe die sich im Tod vereinigt, auch wenn ich mich frage warum man sich nicht schon zu Lebzeiten trifft? Stimmt, man muss ja Geld verdienen um selbst reich zu sein wenn man stirbt.

 

Nun ja, so ist das mit den Gefühlen. Und den Freundschaften. Am Ende geht sich alles aus und dann triffst ihn letztlich auch du. Aber hab Vertrauen, er ist ein guter Geist, eine treue Seele. Und er wird auch dir auf die andere Seite helfen, so wie er es schon immer getan hat. Bis in alle Ewigkeit.

 

Ich für meinen Teil beobachte einfach weiter das Treiben der alles verzehrenden Massen. Unbewusst und getrieben wie zu biblischen Zeiten. Schlagen sich durch die Herausforderungen ihrer erwartungsgeschwängerten Pflichtgefühle und bemerken nicht wie sie dabei versäumen zu leben. Rennen den vergewaltigten Träumen einer propagierten Gesellschaft hinterher. Hetzen sich auf dem Weg nach oben um an der eigenen Gesundheit zu zerbrechen.

 

"Und sie kommen wieder, die Erde ist rund."

Flüstert der Tod in mein Ohr. Wie Motten stürzen sie sich auf den Ausschuss einer Sklaventreibergesellschaft, deren moralisches Wertempfinden am Preis der Reichweite gemessen wird. Und glänzt es nur genug, zieht es auch die Aufmerksamkeit auf sich. Und jeder weiß es. Alle wissen sie es. Der Kapitalismus ist gescheitert und war es vom ersten Moment. Es ging noch nie um Geld. Oder hat gerade dein letztes Hemd Taschen? 

 

Aber lassen wir sie spielen. Den Tod an unserer Seite haben wir die Geduld des schon Angekommen-Seins. Des Abwartens. Denn wir haben einen Platz gefunden an dem unsere letzte Ruhe sein soll. Denn Dank der Hilfe unseres Todes, uns, den einzigen Ort an dem es sich zu sterben lohnt, ganz bei sich selbst.

Und bis dahin, mein Gott wo sollen sie denn hin? Auch bei einer Kugel kommst du zwangsläufig immer wieder am Anfang raus.

Daher, du weisst wo du mich findest. Ich begrüße den Tod, holt er mich eines Tages zu sich. Bis dahin jedoch, nun ja bleibt er mein ständiger Begleiter, mein Ratgeber, mein Held, mein Antrieb und mein Trost. Eben meine letzte Antwort auf alles.

Luca Merkle