Über losgelassene Momente

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„Stell dir vor, du wärst tot. Dann bräuchtest du dich um sowas auch nicht mehr kümmern.“

Er schaut mich an und nippt achtsam an seiner Chai Latte. Der Dampf der vom Tassenrand aufsteigt, erinnert mich daran, wohl selbst auch aufzupassen, bevor ich einen Schluck aus meiner Tasse nehme. Er schmunzelt, linst frech aus seinen dunklen Augen hervor und kichert. „Ha! Damit hast du nicht gerechnet“, beginnt er nun triumphierend zu lachen. 

 

Ich bin derweil etwas in meine Gedanken vertieft. Seine Antwort hatte mich irgendwie kalt gelassen und mir nur mehr verraten, dass er sich der Ernsthaftigkeit meiner Situation nicht bewusst war. Wir hatten uns gerade eben kennengelernt. Ein Zufall ließ uns zusammenstoßen. Währenddessen stürzte mein Handy zu Boden und entging unter besorgten Augen nur knapp einem neuen Display. Daraufhin hatte er sich entschuldigt und mich gefragt, ob ich in Eile sei. Ich schüttelte den Kopf, ohne zu ahnen, wenig später bei zwei heißen Chais über den Sinn des Lebens zu diskutieren. Ich betrachte gerade den glücklicherweise glimpflichen Schaden meines mobilen Endgerätes und dann wirft er mir diesen unsagbar hilflosen Satz um die Ohren. 

 

„Gut, ja, wenn ich tot wäre, könnte ich aber nun auch nicht mit dir hier sitzen. Folglich, ohne dir zu nahe treten zu wollen, ist dein Rat, wie soll ich sagen, unzeitgemäß.“ Zufrieden begründe ich ihm hartnäckig meine Unzufriedenheit und trinke triumphal nun doch aus meiner Tasse. Schmerz! Zu heiß. Karma, denke ich mir im Stillen und versuche mir nichts anmerken zu lassen. 

 

Er durchschaut mich und schmunzelt. „Merkste selber, stimmt’s.“ Ich beginne ihn allmählich nervig zu finden. Seine Art ist mir zu überheblich, vor allem für einen der auch noch so daher kam wie er. Ein besserer Hippie mit vorsichtigem Modebewusstsein. Irgendwie konnte man ihn so wie er dastand, kaum ernst nehmen. Wirkte mit seinen langen Haaren und seinem Poncho wie aus einer anderen Zeit, wobei fraglich blieb, ob es diese Zeit je gegeben hatte. Ich schnaube leicht und schiebe die Gedanken beiseite. Er hat mich schließlich eingeladen und ich will nicht unhöflich sein. 

 

„Nun, dann sprich. Ist dies deine Lebensphilosophie? Solange du am Leben bist, stellst du dir vor, du wärst tot?“ Allmählich wird mein Geist wach und lässt sich auf den Schlagabtausch ein. Ich selbst rede die Leute gern in ihre eigenen Aussagen. Es war faszinierend, wie wenig sich die meisten selbst beim Reden belauschten. Oftmals folgten auf ihre Klagen gleich daran anschließend die Gründe hierfür, doch es schien unmöglich für sie zu sein, hierin einen Zusammenhang zu sehen. So als wärst du Heiler und Giftmischer in einem ohne von deiner anderen Hälfte zu wissen. Und während der eine vergiftet, versucht der andere zu heilen. 

 

Herausfordernd blitze es mich aus seinen Augen an. Er hatte angebissen, hatte meinen Geist erwachen sehen und war nicht abgeneigt, ihn mit dem seinen zu messen. „So könnte man es sagen. Gleichsam ist dies eine stark reduktionistische Klassifizierung meiner zugrundeliegenden Maxime das Glück des Lebens betreffend“, gab er mir mit väterlicher Miene zur Antwort, während er sich provokativ über den kurzen Schnurrbart fuhr. 

 

Aha, der Hippie konnte also noch anders. Grundsätzlich war ich nicht so schnell verurteilend, doch sein Äußeres lud ein, sich davon provoziert zu fühlen. Was dachte der Typ, wer er ist. Vielleicht hielt er sich selbst für eine Art Guru und wandelte nun durch die Straßen, um Leuten ihr Handy aus der Hand zu schlagen um dann anschließend nutzlose philosophische Phrasen in den Raum zu stellen. 

 

„Gut, ich sehe, du meinst es ernst. Dann erkläre mir, wenn mir mein Handy aus der Hand rutscht und das Display kaputt geht, wie weit hilft es mir dann über meinen eigenen Tod nachzudenken? Davon repariert sich das Handy nicht, genauso wie ich den Rattenschwanz von Reparaturgängen und Versicherungsdiskussionen nicht umgehen kann“, frage ich nachdem ich keine Lust auf komplizierte Formulierungen verspüre. 

 

Seine Stirn beginnt sich zu falten. Er lehnt sich zurück und atmet. Er atmet so hörbar, dass ich mich unwohl dabei fühle. Eigenartig, denke ich mir im Stillen. Das Atmen anderer Menschen als störend zu empfinden ist nicht gerade das Sinnbild von Nächstenliebe. 

 

Wieder fährt er sich über den Bart und summt. 

Also“, sagt er endlich. „Sicher, dein Tod repariert dein Handy nicht, auch nicht die Vorstellung davon. Doch die eigentliche Frage ist doch, warum du dich so darüber ärgerst. Ich meine, stell dir stattdessen doch vor, du würdest lachen.“ 

 

Lachen?“, entgegne ich fassungslos. Mir war bewusst worauf er hinaus wollte. Natürlich gibt es genauso keinen guten Grund zu lachen wie sich zu ärgern, schließlich verändert die Emotion am Zustand des zerbrochenen Displays überhaupt nichts. Doch lachen… Ich schüttle den Kopf. „Ich verstehe, was du sagen willst. Das Leben ist leichter, wenn du es mit Humor nimmst, stimmt’s. Doch im Ernst: Lachen?“

 

Herausfordert lehnt er sich wieder zu mir. Ich hatte angebissen. Mist. Den Sieg vor Augen holt er zum nächsten Satz aus. „Sieh diese Tasse.“ Er deutet mit seinem Finger auf meinen Chai. "Sie ist aus einem bestimmten Grund hier. Schließlich habe ich sie bestellt. Bald schon wirst du sie leer getrunken haben und nach dem Bezahlen wird sie gespült, aufgeräumt und dem nächsten, der bestellt, unter die Nase gestellt. Doch für einen kurzen Moment in deinem Leben war sie der Becher deines Getränkes. Vielmehr deine Tasse. Und als solche trägt sie deine Individualität. Es ist dein Getränk, deine Art zu trinken und deine Art, den Satz am Boden der Tasse zurückzulassen. Eine Szene, die so garantiert nie wieder existieren wird.“

 

In Ordnung,“ sage ich, verstehe aber nicht, was das mit meinem Handy zu tun hat. 

 

Plötzlich beginnt er laut zu lachen. Ich zucke zusammen, fühle mich ertappt. „Haha, dein Blick verrät dich“, prustet er mir entgegen, wobei er sich genüsslich den Bauch hält. „Das war‘s, die ganze Geschichte. Sieh zu, wie das mit deinem Handy zusammen passt.“ 

 

Was für eine sanfte Geschichte“, antworte ich etwas verärgert. Mein Verdacht einem Spinner in die Arme gelaufen zu sein, verhärtet sich. Zwar hat mich seine Erzählung zum Nachdenken gebracht, doch entweder gibt es keinen Zusammenhang und er verkauft mich für blöd oder ich bin schlicht wirklich zu blöd, den Zusammenhang zu erkennen. 

 

Mit einem Räuspern setzt er sich auf. Legt seine Hände zusammen und umkreist mit seinen Armen, die vor ihm stehende Tasse. "Spaß bei Seite“, setzt er erneut an. „Was ich dir sagen will, jeder Moment ist einzigartig. Diese Tasse, der Augenblick, in welchem dein Handy stürzt, genau wie dieses Gespräch. Du. Alles ist einzigartig, verstehst du. Und ehe du dich versiehst, ist er auch schon wieder vorbei.“ 

 

Noch etwas gekränkt lehne ich mich in meine Lehne zurück und beäuge ihn skeptisch. Er hat meine Aufmerksamkeit, keine Frage, doch seine seltsame Art lässt mich allmählich etwas vorsichtig werden. „Verstehe, jeder Moment ist also einzigartig und mit einem Augenzwinkern wieder vorbei. Soweit so gut, aber ich sehe nicht, wie mir das helfen soll“, sage ich unbeeindruckt. 

 

Er lächelt. Doch anders als vorher. In diesem Lächeln gebar sich eine neue Freundlichkeit, eine gutmütig-geduldige. „Lass diesen Gedanken wirken“, antwortet er schließlich. „Lass wirken, was du dir erlaubst zu denken.“

 

Ich runzle die Stirn. Was ich mir erlaube zu denken murmle ich abwesend und denke über einzigartige Augenblicke nach. Vor meinem Inneren Auge ziehen sie vorbei, die Momente. Unerwartet treten Bilder in die Stille meines Denkens. Bilder aus längst vergangenen Tagen. Momente, in welchen die Schicksale meines Lebens passierten. Ungeordnet, chronologisch völlig durcheinander und allmählich immer mehr. Ich erinnere plötzlich ganze Szenen meines Lebens. Letzte Worte an sich trennenden Wegen. Alles entscheidende Ja’s, alles versagende Nein’s. Traurige wie fröhliche Momente. So viele Momente… 

 

Nun, was sagst du?“, zieht mich seine Stimme aus dem reißendem Strom einer unendlichen Bilderflut. 

 

Was meinst du?“, frage ich etwas neben mir. 

 

„Du hast den Gedanken wirken lassen. Hast ihn in dein Inneres versenkt und dort hat er auf fruchtbarem Boden eine Quelle an erinnerten Momenten zum Vorschein gebracht, habe ich recht?“, lächelt er mich wissend an. 

 

Ja“, antworte ich verlegen, immer noch etwas von seiner Art bedrängt. 

 

„Siehst du, dein Leben besteht aus Momenten. Unzählig vielen Momenten. Vielmehr als du jemals erinnern könntest und dennoch hältst du dich mit einem Moment auf, in welchem du dich ärgerst“, flüstert er, während er mehr in seiner Tasse zu sehen vermag als nur den Chai. 

 

Aber was hat das mit dem Tod zu tun? Wieso hilft mir dieser Gedanke in solch alltäglichen Ärgernissen wie einem kaputten Display?“, frage ich immer noch zweifelnd daran, von diesem Spaßvogel praktikable Lebenshinweise zu erhalten. 

 

Er blickt von seiner Tasse auf und schaut mir direkt in die Augen. In ihnen wiegt eine stechende Klarheit. Erst jetzt bemerke ich die außergewöhnliche Farbe seiner Iris. Fast scheint sie sich zu bewegen. Hypnotisiert von dem Anblick, verharre ich in seinem Schauen. Meine Zweifel sind verflogen und ich wie in seinem Bann. Warum wehre ich mich überhaupt so, ich habe überhaupt keinen Vorteil davon, ständig in dieser hab Acht Stellung zu lauern. 

 

„Der Gedanke an sich ist nicht das entscheidende“, dringt es in einer Deutlichkeit an mein Ohr, so als säße er direkt in meinem Gehörkanal. Seine Stimme verführt mich nur noch ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken. 

 

„Die Menschen denken den ganzen Tag. Der Gedanke ist selten das, worauf es ankommt. Es ist vielmehr die Fähigkeit einen Gedanken zu beobachten. Ihn gewahr werden zu lassen und seine Wirklichkeit in deinem Geiste sprießen zu sehen. Nun denke an deinen Tod und lass ihn wirken“, spricht er weiter, ohne mich aus den Augen zu lassen. 

 

Ich schließe die Augen und denke. Denke an meinen Tod. Überwinde die Hemmung darüber nachzudenken, für einen kurzen Moment und lasse ihn wirken. Vor meinem inneren Auge sehe ich mein Leben, wie es vorbei zieht. Sehe, wie ich friedlich einschlafe und meine Augen für immer schließe. Schluckend bleibe ich bei diesem Bild. Sehe mein gealtertes Gesicht. Liebevoll ruhend, umringt von den Gesichtern, die ich liebe. Eine Träne löst sich und ich seufze. Öffne die Augen und blicke ihn verschwommen an. „Ich glaube, ich verstehe was du meinst“, flüstere ich leise. 

 

Es geht im Leben um die Momente. Jeden Einzelnen. Doch dies ist kein Grund, jeden davon festzuhalten. Letztlich erlebst du ohnehin mehr davon, als du erinnern kannst. Es ist wie mit Büchern, es gibt mehr, als du jemals in einem Leben lesen kannst. Warum also mit denen aufhalten, die keinen Spaß machen. Wenn dir ein Buch nicht gefällt, leg es beiseite und schnapp dir ein besseres. Genauso ist es mit dem Momenten. Wenn es mal nicht so läuft, wie du es dir dachtest, dann beruhige dich. Jeder Moment ist einzigartig und schneller vorbei, als du denkst. Auch die unangenehmen Momente verhalten sich so. Wieso solltest du dann einen von ihnen festhalten, wenn schon der nächste Großartige wartet? Außerdem, wie du siehst, erinnert man sich wenn dann an die wirklich wichtigen und nicht an jeden Tollpatsch.“ 

 

Mein Verständnis wächst, doch insgesamt bin ich zu verwirrt, um noch einen roten Faden zu erkennen. Daher nicke ich, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich ihm folge. 

 

Nun sieh diese Tasse. Im Leben verhält es sich wie mit deinem Chai Tee. Der Körper ist wie diese Tasse. Er besteht aus Elementen, die schon immer zur Verfügung standen und sich in diesem Moment zu deinem Körper zusammensetzten. Sie sind weder dein, noch sind sie dir fremd. Sie sind einfach da zu der Zeit, wenn du sie brauchst. Gleichsam wie du die Tasse zum Trinken brauchst. Doch die meisten vergessen schlicht, dass es im Leben nicht um die Tasse geht, sondern um den Inhalt. Es ist nicht wichtig, welche Tasse du hast, denn sie gehört dir ohnehin nicht. Vielmehr ist sie temporär in deinem Besitz, damit du deinen Chai trinken kannst. Ebenso ist dein Körper temporär in deinem Besitz, damit du dein Leben leben kannst um beispielsweise diesen Chai zu genießen.“

Er greift nach seiner Tasse und trinkt einen langsamen Schluck. 

 

Ah ha“, murmle ich. „Du hast jetzt viele Bildnisse aufgemacht um mich davon abzulenken, dass du beinahe mein Handy geschrottet hättest. Ich verstehe grob, was du mir sagen willst. Allerdings finde ich in all deinen Geschichten keinen praktischen Ratschlag für meinen Alltag, noch glaube ich, hätte ich dich damit davonkommen lassen, wäre mein Handy wirklich kaputt“, entgegne ich wieder. 

 

Er setzt seine Tasse ab und mustert mich. „Was ich dir sagen will, die äußere Welt ist die Tasse. Die Innere Welt der Inhalt. Zur äußeren Welt gehört neben deinem Körper auch das, womit dein Körper umgeht. Also auch dein Handy, aber auch dein Auto, deine Haustür, deine Freunde und dein Partner. Zu deiner inneren Welt gehört neben deinem Geschmack auch deine Strömung, deine Konsistenz, deine Warmherzigkeit oder Kühle. Bist du ein heißer Inhalt, berührt man dich anders als einen kalten. Bist du scharf genießt man dich auf andere Weise als seist du süß. Die Tasse ist nicht das, worum es geht, sie ist das Gefäß deiner ganzen Essenz. Daher passt sie sich deiner Essenz an, verändert sie aber nicht.“ 

 

In Ordnung, weiter!“, fordere ich ihn auf. 

 

Er räuspert sich und fährt fort. „Die Tasse spiegelt also die Essenz, klar?“

 

Klar“, antworte ich. 

 

Fällt dir also dein Handy aus der Hand, dann weil dies ein Spiegel deiner Inneren Essenz, deines Inhaltes ist. Mit anderen Worten, zuerst bist du unaufmerksam, dann fällt dir dein Handy aus der Hand“, erklärt er weiter.

 

„Verstehe, passiert mir also etwas Unangenehmes in der Außenwelt, dann weil ich im Inneren den Geschmack der Unachtsamkeit hatte?“, frage ich. 

 

Genau“, nickt er mir zu. „Und jetzt kommen wir zu den Momenten. Wir haben vorher gesagt, jeder Moment ist einzigartig und im nächsten Augenblick schon wieder vorbei. Außerdem haben wir gesagt, dass es mehr Momente gibt, als du dich im Einzelnen daran erinnern könntest und die Momente, die du erinnerst, sind ohnehin nur die wichtigen, richtig?“ 

 

Ich nicke. 

 

„Also fällt dir dein Handy aus der Hand, dann, weil du in diesem Moment nicht achtsam warst. Die Frage, die du dir hierauf also stellen solltest, wäre also, wo war ich mit meiner Achtsamkeit? Was war es, worauf ich stattdessen geachtet habe?“, beschreibt er. 

 

„Ich soll also danach fragen, worauf ich geachtet habe anstelle auf mein Handy. Warum ist es aber schlimm, dass ich abgelenkt war?“, frage ich erneut. 

 

„Es geht nicht darum, dass es schlimm ist, dass du abgelenkt warst. Darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, dass du abgelenkt warst, in einem kurzen Moment. Und statt, dass du dies zum Hinweis nimmst, dich wieder auf den Moment zu konzentrieren, lassen sich die meisten nur noch mehr ablenken, in dem sie den Moment unnötig lange festhalten, um sich darüber zu ärgern“, schmunzelt er. 

 

„Ah, allmählich sehe ich, was du sagen willst“, gebe ich erleichtert von mir. 

 

„Sehr gut“, nickt er mir freundlich zu. „Also fällt dir dein Handy runter, dann geht es nicht um das Handy, sondern darum, dass du dich von deiner Essenz hast ablenken lassen. Und daran ist überhaupt nichts Schlimmes. Schlimm wird es nur, wenn du diesen kurzen Moment nicht loslassen kannst und so die vielleicht wichtigen Momente, an die du dich später erinnern willst, verpasst. Du hast selbst gesehen, es gibt unzählige Momente und nun sieh dir an, was passiert ist, obwohl dein Handy völlig unbeschadet geblieben ist. Wer hätte mit solch einem Moment rechnen können? Schließlich wäre dieses Gespräch nie zustande gekommen, würdest du dich immer noch über dein kaputtes Handy aufregen.“ 

 

Ich schmunzle. Er hat mich. Doch ich lasse mich gern von diesen Argumenten einnehmen. Er hat recht. Auch wenn er irgendwie keinen richtigen Sinn erklären kann, so hat er es doch geschafft, mich auf eine sehr viel angenehmere Perspektive zu bringen. Es geht letztlich nicht um das Handy, ebenso wie es nie um Materielles ging. Die Sorge um all diese weltlichen Güter resultiert aus dem Bedürfnis heraus, die Essenz meines Selbst mit meinen materiellen Wertgegenständen zu bereichern. Ein Loch zu stopfen, das letztlich im Kern keine Wichtigkeit hat. Denn weder an den Sturz meines Handys noch an den Kauf davon, würde ich mich am Ende meines Lebens erinnern. 

 

„Es geht im Leben also um die Momente, denn sie sind einzigartig. Und sollte ein Moment mal nicht so laufen, wie gewünscht, dann erkenne die Unachtsamkeit darin und lasse ihn gehen, damit du den nächsten nicht verpasst. Denn es geht im Leben nicht darum, sich mit der Außenwelt zu identifizieren und jeder zerbrochenen Tasse nachzutrauern, sondern um den Inhalt. Und den gilt es in jedem Moment neu zu genießen“,

fasse ich zufrieden zusammen und greife nach meiner Tasse.

Der letzte Schluck ist schon kalt geworden, doch ich genieße den süßmilchigen Geschmack meines Chais.

 

Wunderbar, also dann verzeihst du mir unseren Zusammenstoß?“, fragt er nach kurzer Zeit. 

 

„Wie könnte ich anders!“, lache ich, immer noch versunken in den Inhalt meiner Tasse. 

 

Er schmunzelt erneut. Dann steht er auf, verneigt sich tief, und richtet seinen Blick erneut auf mich. „Es war mir eine Ehre diesen Moment mit dir verbracht zu haben. Es war ein vorzüglicher Chai und der Inhalt dieser Begegnung wird in die Geschichte meiner Erinnerungen eingehen.“ 

 

Dann bedankt er sich ein weiteres Mal und verabschiedet sich. Ich sehe ihm noch eine Weile nach, bis er endlich hinter den nächsten Häusern verschwunden ist. Wechsle mit dem Blick immer wieder zwischen seiner Tasse und dem Ort seines Verschwindens hin und her, und wundere mich noch lange über diesen Moment. Dann stehe auch ich auf, versichere mich, dass er auch wirklich gezahlt hat, und verabschiede mich gleichsam aus diesem seltsam wundersamen Augenblick.  

Luca Merkle