Über den Fußabdruck des Menschen

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Das Anthropozän. Das Zeitalter, das sich durch den Menschen verkörpert und von ihm eingeleitet wurde. Die einen sagen, es begann vor rund 10.000 Jahren, als unsere Vorfahren damit begonnen hatten, die Böden zu ihren Füßen durch Agrarwirtschaft zu bestellen. Andere wiederum bezeichnen das Ende des zweiten Weltkrieges und den Beginn des Atomzeitalters als tatsächliche Verwirklichung dieser Epoche. Vermutlich ließe sich eine genauere Bezeichnungen schwer beziffern, denn das Anthropozän meint schlicht jene Zeit, in welcher der Mensch begann, die Umwelt und seine Welt zu bearbeiten, zu manipulieren und wirtschaftlich zu nutzen. Anders als die Generationen vor der neolithischen Revolution wirkte der Mensch ab diesem Zeitraum deutlich zielgerichteter in die Natur ein. In Bereichen, in welchen wir in Harmonie und gegenseitigem Respekt zur Natur lebten und sie als Teil unseres Selbst verstanden, begannen die Menschen nun patriarchalische Systeme zu entwickeln. Das analytische Denken, welches überwiegend in der linken Gehirnhälfte stattfindet, wurde infolge dieser Systeme dominanter und begründete so das ökonomische Streben derer, die Teil solcher Strukturen wurden. Der Rest ist Geschichte.

Ob nun vor 10.000 oder 70 Jahren, das Anthropozän ist jenes Zeitalter auf unserer Erde, das nicht durch geophysikalische Umbrüche zustande kam, sondern durch den Menschen und seinen wirtschaftlichen Umgang mit der Natur. „Man beißt nicht die Hand, die einen füttert“ heißt es, doch gerade das scheinen wir in jener selbst herbeigeführten Epoche zu tun. Und während die einen diese Epoche gänzlich leugnen, verbrauchen wir die letzten unserer Ressourcen mit stetigem Blick auf das Ende, ohne jedoch die wirkliche, dahinterliegende Bedeutung zu begreifen. Vielleicht ist das Anthropozän das letzte Zeitalter der Erde, das den Menschen beherbergt. Vielleicht ist es jedoch auch eine ganz neue Möglichkeit, das Verhältnis Mensch und Natur zu überdenken und endlich die Bedeutung dessen zu erkennen, dass wir Teil dieser Welt sind, genau wie sie Teil von uns ist.

 

Wie stehen die Chancen?

 

Das Anthropozän hinterlässt Spuren im Gesicht der Welt. Fußabdrücke aus Plastik, die selbst noch tausende von Jahren später nicht verrotten sein werden. Wo frühere Kulturen noch in Stein meißeln mussten um nicht vergessen zu werden, hinterlässt die heutige Zeit Kunststoff. Dabei steht „Kunst“ in Kunststoff nicht für die Ästhetik und Schönheit wie bei den steinernen Bauwerken unserer Vorfahren, sondern schlicht für künstlich. Künstlich in dem Sinne, dass die Natürlichkeit der Elemente hierbei vom Menschen soweit vermischt wurde, dass der Zerfall in so große Zeitabstände reicht, dass wir es uns nicht mehr vorstellen können. Die Rede ist von mindestens 100.000 Jahren bis ein Teil des Atom- und Plastikmülls verrottet ist. Dabei ist dieser Teil so verschwindend gering, dass es sich kaum lohnt, darüber nachzudenken. Zumal heute kein Mensch zu spekulieren vermag, wie unsere Welt zu diesem Zeitpunkt aussehen wird. Jedoch ist eines hierbei sicher, die Spuren, die wir heute hinterlassen, werden noch zu finden sein.

Welche Herausforderung bringt das mit sich? Offenkundig ist es so, dass die Menschen vor der neolithische Revolution um 8.000 v.Chr. einen anderen Umgang mit der Natur hatten. Wir sollten hierbei nicht vergessen, dass wir das Ende dieser Jahrtausende andauernden Evolution sind. So ist es also nicht vermessen und vielleicht sogar sinnvoll, von unseren Vorfahren zu sprechen. Denn ganz eindeutig hatten unsere Ahnen zu jener Zeit ein Verhalten bezüglich ihrer Umwelt, das deutlich harmonischer und gesünder für sie selbst wie auch für die Erde, auf der sie schliefen, das Wasser, das sie tranken und die Luft, die sie atmeten, war. Sicher, die Industrialisierung hat uns die Annehmlichkeiten des Lebens beschert. Wir leben im Luxus und bereichern uns mit allerlei materiellen Gütern, ohne die es heute schwer vorstellbar wäre, überhaupt den Tag beginnen zu können. Doch was haben wir dafür bezahlt? Innerhalb dieses Tausches gaben wir unseren Zusammenhang zur Natur auf. Während das Natürliche weiterhin ein geschlossenes Ökosystem blieb, differenzierte sich der Mensch aus diesem Verhältnis hinaus. Disqualifizierte seine Fähigkeit, intuitiv zu handeln und somit seine rechte Gehirnhälfte zu benutzen, auf die Ersatzbank. All dies nur um heute festzustellen, dass er nicht nur Teil der Natur sondern wohl oder übel auch das verwirrteste und gleichzeitig mächtigste Geschöpf eben dieser Natur ist, die ihn selbst hervorgebracht hat.

Und dabei hatte alles so harmlos angefangen. Die ersten Schritte im aufrechten Gang bis hin zu den ersten Siedlungen, alles folgte den Strömungen und Energien des großen Planeten. Also der Mutter Erde. Rituale und Zeremonien, die dazu dienten, der Mutter zu huldigen und der Existenz selbst Dank auszusprechen, stärkten das Gemeinschaftsgefühl und begründeten irgendwann das, was wir heute Kultur nennen. Und wie jene Vorfahren Teil unserer DNA sind, so sind jene mystischen Anfänge und Gedanken zu unserer Existenz der Grundbaustein unserer Gesellschaft und damit Teil von ihr. Doch wie Kinder, die allmählich heranwachsen und sich trotzig gegen die Ideale der Eltern stellen, so rebellierte die Menschheit gegen die vorherrschenden Ideen aus alten Zeiten. Im patriarchalischen System dominiert die Analytik und die unterliegt den Gesetzen der Kausalität. Folglich erkennt ein solches Denken nur einen Schritt nach dem anderen an, nicht jedoch das dazu gehörige Ganze. Jenes, vor dessen Dilemma wir heute stehen. Nämlich, dass unsere Mutter Erde in ihre Bestandteile zerfällt und sich unter all dem Müll kaum mehr grüner Boden findet, der Leben- unser eigenes eingeschlossen- überhaupt ermöglicht.

Neue Konstellationen?

Was sind also die neuen Konstellationen? Nun, die Tatsache, dass die Menschheit sich als Ganzes gänzlich aus der Beziehung der Natur herausgelöst hat, ist eine Bewegung, die solange zum Scheitern verurteilt sein wird, bis wir einen Ersatzplaneten gefunden haben. Doch vermutlich würden wir auf diesem weiterhin genau so wirtschaften, da wir die Erde bis dahin offensichtlich zerstört hätten, und wir keine Spezies sind, die bisher großartig aus ihren Fehlern gelernt hat. Doch bekanntlich gibt es zum Optimismus keine Alternative. Daher bietet das Anthropozän neue Konstellationen. Hierbei ist die erste Herausforderung, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen, das Bewusstwerden dessen, dass wir keine Menschen sind, sondern vielmehr Wesen innerhalb eines Ökosystems, das sich selbst bedingt. Davon ausgeschlossen zu sein bedeutet, keine Lebensgrundlage mehr zu haben. Unsere modernen, naturwissenschaftlichen Methoden, deren Existenz gerademal den Bruchteil einer Sekunde in unserer Vergangenheit ausmacht und deren Prinzipien wir uns seit dem 17. Jahrhundert untergeordnet haben, bieten hierfür keine Lösung, vielmehr sind sie Ursache und Beschleunigung unserer heutigen Situation.

Ein Blick in die Vergangenheit lohnt

Möglicherweise finden sich jedoch gerade in unserer Vergangenheit Lösungen für heutige Probleme. Dabei meine ich nicht die Vergangenheit der menschlichen Zivilisationen, sondern vielmehr ihre Ursprünge. Jenen Bevölkerungsgruppen, die wir in unserer heutigen Gesellschaft durch Abholzung und Enteignung von Mutter Erde an den Rand der Existenz drängen. Indigene Gesellschaften, deren Kultur noch zu kindlicher Freude und Gemeinschaftssinn fähig ist, und deren einziges Verbrechen am Rest der Gesellschaft die Würdigung all dessen ist, was wir, also die Anderen, durch unseren Umgang mit der Natur entwürdigt haben. Und wer sonst würde sie und ihre Praktiken verurteilen als jene, die keine Ahnung davon haben, was es bedeutet „intuitiv“ zu leben. Dabei sind der Fortschritt und die Hoheitsposition des analytischen Verstandes Beweise dafür, dass die reine Intuition im gleichen Maße unpraktisch umsetzbar ist. Schließlich hätten wir heute sonst eine andere Gesellschaft. Doch ist auch vielleicht gerade das Beweis dafür, dass wenn wir eine Chance zur Bewältigung der heutigen globalen Herausforderungen hätten, diese genau hier finden könnten. Vielleicht ist die Antwort auf all unsere Probleme ein schlichtes „und“ anstelle eines „entweder oder“: weder die reine Intuition noch die reine Vernunft halten die fehlenden Antworten bereit, sondern schlicht die Zusammenarbeit beider. 

 

 

Schluss. Was ich noch dazu sagen wollte.

 

Das Anthropozän. Ob man es nun so nennen mag oder die Betitelung nur weiter verwirrt, ist jedem selbst überlassen. Schlicht und ergreifend deswegen, weil sich der Einfluss des Menschen auf die Natur schlecht leugnen lässt. Das ökonomische Denken hat sich im Rückblick auf die letzten 10.000 Jahre immer stärker durchgesetzt, bis es letztlich zur vorherrschenden Denkart wurde. Das Ergebnis hiervon ist nun das Zeitalter, in dem wir leben, und dass bei unserem bisherigen Verhalten ziemlich sicher unser letztes sein wird. Wir stehen sozusagen zum ersten Mal seit dem Beginn der Aufzeichnungen am absoluten Rand unserer Existenz. Glücklicherweise bietet das eine Reihe neuer Möglichkeiten, wie wir unseren Kurs noch ändern können und als Spezies nicht so kläglich abdanken müssen. Allerdings stellt das die Menschheit vor ein riesiges Problem. Eigentlich bedarf es nur eines Umdenkens hin zum Unbekannten, doch der Mensch tut sich schwer von bekannten Denkmustern abzurücken. Das liegt neurologisch gesehen an dem Unterschied der rechten und linken Gehirnhälfte. Also an der Fähigkeit, das intuitive Denken mit dem analytischen Denken zu kombinieren, oder eben der Unfähigkeit, beide Gehirnhälften als ein zusammenhängendes System (an-) zu erkennen. Interessanterweise scheint genau jene Verbindung aus Intuition und Analytik, Kreativität zu erzeugen. Jene Kreativität, die wir benötigen um intelligente und umweltförderliche Lösungswege für die Herausforderungen zu finden, die unsere momentane Existenz bedrohen. Glücklicherweise existieren einige dieser Lösungen bereits in unserer Vergangenheit und den Ursprüngen menschlicher Kulturen. Und auch wenn diese Gesellschaftsformen dem Wandel der Zeit unterlagen, so hielten sich einige davon bis heute. Warum? Vielleicht um uns jetzt die Möglichkeit zu geben, Vergleiche anzustellen und von ihnen, sowie aus unseren Fehlern zu lernen?

Und so schließt sich der Kreis.

Offensichtlich liegt die Ursache unserer Situation wahrhaftig an uns, genau wie jedoch auch die Lösung hierfür in uns zu finden ist. Die Tatsche, dass es bisher noch keinen wirklichen Durchbruch gegeben hat, ist nur Beweis dafür, dass es immer noch kein Umdenken geschafft hat, durchzubrechen. Es könnte also jeder sein, vielleicht sogar einer von uns, welcher der erste ist. Und vielleicht sind wir es alle zusammen, jeder für sich und Stück für Stück. Nervenverbindung für Nervenverbindung und ehe wir uns versehen, haben wir es dann doch noch geschafft, für alles eine Lösung zu finden. Doch es hängt von jedem einzelnen von uns ab. So wie das schwächste Glied einer Kette, ist man automatisch für alles Scheitern verantwortlich, wenn man nichts tut um stärker zu werden. Daher liegt bei jedem selbst die Verantwortung, das Beste aus dem eigenen Leben zu machen.

Was also ist das Anthropozän außer ein komisches Wort?

Das Anthropozän ist für mich jenes Alter der Menschheit, in welchem sich das Kind von der Mutter trennt. Jener Prozess, in welchem das Kind „erwachsen“ wird und beginnt, auf eigenen Beinen und Überzeugungen zu stehen. Seine Herkunft verleugnet und bisweilen sogar vergisst. Und wie ein jeder von uns weiß, ist dieser Prozess schmerzhaft. Für Mutter genauso wie für Kind. Und dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass sich das Kind niemals gänzlich aus der Verbindung zur Mutter trennen kann, da es nur aus ihr heraus existiert. Wer seine Mutter leugnet, der leugnet sich selbst. Daher ist es beim Kind wie beim Menschen nur natürlich, während der Selbstfindungsphase auf die eigenen Ursprünge zu stoßen und sich wieder als Teil des Ganzen zu erkennen.

Fortsetzung folgt…?

Die für mich interessanten Fragen, was ist der Mensch, was ist Leben, woher kommen wir, und was hat das alles mit mir zu tun, sind vielleicht genau die Fragen, denen wir uns heute im Anblick des Anthropozän widmen sollten. Wir sind Lebewesen, die in einen Kontext aus anderen Lebewesen geboren werden, ohne zu wissen warum, und was unsere Aufgabe ist. Doch blicken wir in die Welt der Natur, in welche wir zweifelsfrei ebenfalls hineingeboren wurden, lässt sich schwer leugnen, dass unser Ökosystem ein in sich perfekt funktionierender Organismus ist. Alles bedingt sich gegenseitig, rechtfertigt durch die bloße evolutionäre Existenz, dass alles seine Daseinsberechtigung hat. Das einzige, das nicht so recht zu passen scheint, ist der Mensch und seine selbstgemachten Probleme. Doch vielleicht ist das nur auf den ersten Schein so. Denn bei genauerem Hinschauen ist er auch die Lösung all dieser imperfekten Situationen: Entweder durch die Auslöschung seiner eigenen Art oder, und das ist die spannendere Variante, durch die Optimierung seines Denkens und damit seines Verhaltens. Es bleibt also weiterhin interessant. Schaffen wir den Umschwung? Wer weiß das schon, aber ich versuche mein Bestes zu geben. Einfach deswegen, weil die Lösung viel näher liegt als man denkt. So nah, dass wir vergessen haben, wie wir darauf zugreifen können. Doch wenn der Verstand still ist und das Ego größeres im Sinn hat, als nur die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, dann wissen wir ganz intuitiv, wo wir zu graben haben. 

Unsere Zeit 

In unserer heutigen Zeit, einer Zeit des Umbruchs, ist es wichtig von alten Regeln absehen zu können. Destruktive Dogmen überdenken zu können und neue, kreative und unbekannte Wege zu gehen. Schlicht aus dem Grund, weil die Zukunftsprognosen viele krasse Veränderungen für die kommenden 50 Jahre ankündigen. Und selbst wenn sich nur ein Bruchteil davon verwirklichen sollte, so liegt dies doch alles innerhalb meiner Lebenszeit. Was nutzt es einem nach der Norm zu leben, wenn die Norm einen krank macht. Wie eine gesunde Zelle in einem kranken Umfeld krank wird, so wird der gesunde Mensch im Umfeld einer kranken Normalität ebenfalls krank. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist dasselbe wie beim Menschen zu sich selbst. Der menschliche Körper ist ein evolutionäres Meisterwerk und dennoch lassen wir ihn verkommen genau wie unsere Umwelt. Anstelle von Bewunderung über die Perfektion der Umwelt, sieht sich der Mensch nur die Probleme an und schafft dort neue, wo keine sind. Gefangen in der Illusion, dass alles immer größer und besser werden muss, anstatt darüber staunen zu können, dass überhaupt etwas existiert. Das Materielle ist die Verkörperung unserer Seele und wer sich umschaut, erkennt die Gründe für unser Handeln. Innerliche Leere, die mit „Zeug“ zu stopfen versucht wird, welches zu einem späteren Zeitpunkt wieder als Müll in der Natur landet. Fehlende Anerkennung, die mit Zahlen Ausgleich sucht. Ob nun mit Likes auf Instagram oder Summen auf dem Konto, beides sorgt letztlich nur wieder dafür, dass andere unterdrückt, übervorteilt oder sonst wie geschädigt werden. Und hier gleichen sich der Großindustrielle genau wie Apotheker oder Student. Die Norm sucht nach Befriedung im Materiellen und nicht in sich selbst. Und dabei wissen wir schon seit Pythagoras, dass Zahlen unendlich sind. Demnach ist eine Suche im Außen genauso ewig.

Daher schließe ich diesen Text mit folgender Frage:

Worum geht es hier eigentlich?

Dass dies eine metaphysische Frage ist, ergibt sich am Ende eines langen Regresses aus stetig neu aufkommenden „Warums“. Doch scheint mir nicht die Zeit, großartig darüber zu diskutieren, wie wir was machen, sondern warum?