Über das Glück unglücklich zu sein 

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„Sei doch mal glücklich, freu dich mal.“  - Wenn es doch nur so einfach wäre. 

Immer wieder höre ich sie, diese Stimmen. Diese Stimmen, die mir sagen es wäre alles nicht so schlimm, es wäre doch alles gut. Ich bin gewiss kein Schwarzmaler, doch wenn das mit dem Glück so einfach wäre, würden wir in einer anderen Welt leben. Ganz im Ernst, diese dauerglücklichen Mienen, die einen vom Lächeln überzeugen wollen, obwohl es sich für einen selbst wie ein Verrat anfühlt. 


Es ist nicht so, dass ich nicht auch gern mehr lächeln würde, doch wenn der eigene Geist nun mal einfach nicht lächelt, wie könnte es dann authentisch sein? Gerade im Unglück ist man nun mal nicht glücklich. Ein Zustand, der mich immer wieder aufwühlt, und dazu führt, mich in Thematiken zu steigern und letztlich die wunderlichsten Erklärungen zu finden. Alles nur eben nicht Glück. Zum Beispiel ist der eigene Körper ein Junkie. Nicht jedoch nach Substanzen, die im Außen liegen. Nein, der Körper suchtet seine eigenen Hormone. Wer konstantes Unglück empfindet, steckt schon mittendrin im Adrenalin- und Cortisolrausch. Eine Abhängigkeit, die sich von außen nur schwer erkennen lässt, da die einen dieses Suchtbild zeigen, während die anderen es nicht verstehen.


Tja, und was nutzt einem das jetzt? Keine Ahnung, Erklärungen sind schließlich auch nur wieder Umschreibungen von etwas, das sich nicht erklären lassen will. Sicher, die Welt ist zu gleichen Teilen schön wie sie hässlich ist. Und sicher, es liegt bei jedem von uns, ob wir jene sind, die von oben auf das halbvolle, halbleere Glas schauen, oder von unten. Doch kann man sich die Perspektive, in die man hinein wächst, nicht raussuchen. Unnötig im Einzelnen aufzudröseln was, wie, wann dazu beigetragen hat in diese Betrachtungsweise zu rutschen. 


Ich bin gern unglücklich, auch wenn ich darunter leide. Der einzig wirkliche Grund für mich, morgens aufzustehen, ist das Suchen nach Glück, während es die Hälfte der Menschheit schon gefunden hat. Der einzig wirkliche Grund zu existieren, ist das Haschen nach glücklichen Momenten, während es anderen so leicht fällt diesen Zustand zu erleben, einfach weil sie sich nicht so einen Kopf darüber machen. 


Man könnte das jetzt ungerecht nennen, doch gerade hier liegt die Gerechtigkeit. Gerade die Unglücklichen sind es, die den Glücklichen ihr Glücklichsein aufzeigen. Und gerade die Glücklichen sind es, die den Unglücklichen zeigen, was ihnen fehlt. Lebten wir allein auf einem Berg, welche Wahl hätte man zum Glück? Alles wäre ideal, alles wäre jeden Tag so wie es ist und daher automatisch irgendwie gut. Doch wir leben nicht auf einem Berg. Wir leben in Gesellschaften aus verschiedenen Strömungen. Viele Energien, die sich Tag ein, Tag aus begegnen und sich dabei immer selbst im anderen spiegeln. 


So beginnt ein Tag für mich wie für jeden anderen auch. Ich stehe auf, begehe meine morgendlichen Routinen und bewundere die Sonne, wie sie wiedermal das Dunkel zurücktreibt. Doch gerade hier gibt sie den Blick frei. Entdeckt die Vielseitigkeit der Schöpfung und damit alles von ihr. Was bin ich also im Unglück anderes als der Spiegel des Glücks? Unschuldig betrachte ich die Welt um mich herum, werde Zeuge von so vielem, was ich des Nachts nur gehört habe. Ist es meine Schuld, mein Vergehen, mit den Augen der Nacht hinter die Kulissen des Tages zu blicken? Vergehen ist vielleicht das falsche Wort, doch Wahlfreiheit gibt es hier genau so wenig wie es einen Unterschied macht, auf einer Kugel nach rechts oder links zu gehen. Am Ende kommt man doch wieder nur am Anfang raus.


Ich weiß was ich nachts gehört, gefühlt und „gesehen“ habe. Und nur weil die Sonne die Schatten vertreibt, so wirft sie doch auch neue. Ich suche hier keine Ausrede zum Unglück. Nein ich suche Anerkennung dafür, was ich bin. Ich bin ein Geschöpf der Nacht. Ein Kind des Mondes und dieser hat viele Gesichter, oder sollte ich sagen „sie“? Die weibliche Energie ist eine etwas schwermütige. Einfach weil sie alles in sich trägt. Unnötige zu erfragen, woher sie kommt, denn sie ist da. Notwendigerweise ist sie das, denn sie gebiert die männliche erst. 


Als Mensch bin ich ein Geschöpf, welches beides in sich trägt, sowohl männlich als auch weiblich. Yin Yang, so wie es im Buche steht. Doch gibt es Dominanzen. Prägungen in unserer Vergangenheit, die uns nun mal fühlen lassen, wie wir uns fühlen. Ich ertrage es nicht mehr. Diese ständigen Ratschläge, ständigen Vorwürfe. „Richte deine Aufmerksamkeit doch mal auf das Schöne.“ Sicher, Energie folgt immer der Aufmerksamkeit, doch wer würde ernsthaft verlangen, der Nacht zu verbieten zu existieren oder ihr vorzuschlagen, zum Tag zu werden? Denn gerade das Schöne offenbart sich in seiner versteckt dominanten Hässlichkeit. 


Glück und Unglück. Zwei Polaritäten wie Nord- und Südpol, wie Tag und Nacht. Ich bin nicht der, der sich im Unglück suhlt, doch bin ich der es fühlt und es sich zu sehr zu Herzen nimmt, dafür verurteilt zu werden. Es ist wie auf einer Waage. Befindet sich das eine auf der einen Seite, so befindet sich das andere auf der anderen. Wie sollte es auch anders sein. Anders würde das Universum aus dem Gleichgewicht geraten, genau wie das Individuum, das sich selbst seine Polarität nicht eingesteht.  


Tja und so bin ich glücklich bis zu dem Moment, wo ich die Glücklichen sehe, wie sie sich selbst ihr Unglück leugnen und damit meine Energie. Im Leben geht es nicht darum immer glücklich zu sein. Nein, vielmehr geht es darum, einfach zu sein. Sein zu dürfen, auch mal unglücklich sein zu dürfen. Einfach aus gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Anerkennung. 


Und das ist schon alles. Klingt komisch, ist aber so. Mit dem Gemüt ist es so wie mit der Hautfarbe, man kann es sich nicht raussuchen. Jedoch kann man damit leben, leben lernen und letztlich darin sein Glück finden. Wer bist du, dass du mir sagst, wie ich mich zu fühlen habe; bist du ich? Vielleicht sollten wir einfach aufhören den anderen zu verurteilen und zuallererst vor der eigenen Haustür kehren. Das sage ich mehr zu mir als zu jedem sonst. Doch ist das nun mal kein Soloprojekt. Nein, für gegenseitigen Respekt braucht man die Gegenseite. 


Letztlich ist das Unglück genauso schlecht zu erklären, wie das Glück und solange wir im einen festsitzen, solange brauchen wir unsere Freiräume, sonst ist ein Wechsel unmöglich. Ich sehe das Glück in der Welt und freue mich darüber, doch ist es nun mal nicht meins. Denn ich sehe auch das Unglück und will es nicht leugnen, kann es nicht leugnen. Habe keinen Grund dazu. Wer bin ich, dass ich das Unglück zum Glück verurteile? Nein, ich verurteile weder das Glück noch das Unglück, sondern akzeptiere sie als Teil einer Welt, in der beides existiert, genau wie ich mittendrin.  


Und so bin ich am Ende doch glücklich. Allerdings erst wenn der Tag wieder zuneige geht und alles wieder zu einem glücklichen Ende kommt. Am Ende ist alles gut, und wenn nicht, dann ist es nicht das Ende. Eine Erkenntnis, von der der Tag keine Ahnung ohne die Nacht hätte. Denn wo ein Tag aufhört und sich vor dem Ende seiner Individualität fürchtet, ist die Nacht lediglich die Abwesenheit des Lichts, daher also die wohlige Gewissheit, dass es weitergeht, wenn das Licht wiederkommt. Und es kommt, es kommt immer wieder und ist das nicht ein Grund zum glücklich sein? 


Denn wo der Tag sein Ende hat, so ist die Nacht ewig. Wer sich in der Nacht wohlfühlt, hat nichts zu befürchten. Wer bist du also, dass du mir die Nacht streitig machst? Es ist genug für alle da und am Ende, tja, da gehen wir doch alle wieder ins Licht.