Bevor ich gehe

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Ich blicke in eine Welt. Eine Welt voller Wunder, lautem Chaos und der Magie der Liebe.

Bevor ich also gehe und niemand weiß, wann das sein wird, will ich noch etwas dazu sagen, wie meine Augen in diese Welt schauen und was ich sehe. Sicher, es gibt keinen Zweifel daran - der Mensch, dieses eigenartige Zellwesen, unterscheidet sich von den übrigen Wesen, die sich hier tummeln und dennoch ist er ein Teil jener Gemeinschaft, von welcher er sich gänzlich abzusondern versucht. Ein Blick in unsere eigene Geschichte erzählt die Geschichte eines Wesens, das sich zurechtzufinden versucht in einer Welt voller Gefahren. Mit Angst als unserem stetigen Begleiter. Begleiter und vielleicht auch der Antrieb hinter dem, was wir Fortschritt nennen.  

Auf dem Weg zu den Sternen machten wir uns die Welt untertan und versklavten dabei unsere eigenen Kinder. Kriege, die geführt wurden. Nur um zu beweisen, dass ein jeder von uns am Ende recht behalten würde. Der Tod, jener Kompromiss, den wir hochhielten, um den Sinn darin zu begründen, was wir taten. Jener Zweck, der all jene Mittel heiligen sollte, die wir zu gebrauchen bereit waren, um Macht, Einfluss und Bedeutung zu gewinnen. Letztlich jedoch nur Maskerade. Ein Versteckspiel davor, dass wir im Grunde unseres Herzens Angst haben. Angst davor in den Spiegel zu blicken und zu erkennen, wer wir sind. Es ist immer schon ein Leichteres gewesen, dem Anderen die Schuld zu geben als einzusehen, selbst nicht zu wissen worin der Sinn all unserer Unternehmungen liegt.  

Doch genug davon. Diese Gedanken wollen sich nicht in jene Schublade der unheilvollen und dunklen Gedanken einordnen lassen. Auch Blicke ich in eine Welt, in welcher der Fortschritt uns so weit von der Angst entfernt hat, dass wir uns nicht mehr daran erinnern können, wovor wir uns eigentlich einst fürchteten.  

War mein Leben von Bedeutung?

Ich schätze die Antwort hierauf liegt nicht in meiner Hand. Rückblickend ist meine Geschichte eine mit vielen Hoch und Tiefs, Auf und Abs und einem individuellen Gemisch aus Komik, Tragik sowie unzähligen Begegnungen. Doch welche Geschichte ist das nicht? Letztlich ist es also nicht meine Entscheidung, welche Bedeutung diese Geschichte hat. Sondern eine Frage, welche Bedeutung ihr zugeschrieben wird. Eine Geschichte ist wahrlich nur so gut wie jener, der sie erzählt gleichsam wie jene, die sie zu hören bekommen. Das Wechselspiel aus Erzähltem und Gehörtem kreiert die Bedeutung, die sie hat. Welche Bedeutungen haben jene Geschichten, die nicht mehr erzählt werden? Oder jene, denen nicht mehr gelauscht wird? Schwer zu sagen. Denn ob es uns klar ist oder nicht, sie alle sind Teil jener Geschichte, die wir uns als Menschheit über uns selbst erzählen. Und wer würde zu behaupten wagen, die Menschheitsgeschichte hätte auch nur irgendeine Bedeutung. Vor allem in Anbetracht der Dimensionen des Universums.  

Doch so ist das nun mal mit den Bedeutungen. Sie bleiben so lange bedeutungslos, bis wir ihnen Bedeutung geben. Welche Bedeutung hat also die Geschichte der Menschheit? Welche Bedeutung hat meine?  

Keines von beidem obliegt mir zu beantworten, dennoch will ich dies hier nicht einfach so stehen lassen. Zu viele sind schon gegangen, ohne etwas dazu zu sagen. Dies ist kein Vorwurf, lediglich eine notwendige Feststellung in einer Welt, die in Bedeutungslosigkeit versinkt und droht, ohne irgendeinen Sinn unterzugehen.  

Was sind wir?

Wir wissen es nicht! Einst blickten wir in einen Spiegel und klebten uns das Schild „Mensch“ auf. Doch damit hat sich die Frage wohl kaum beantwortet, auch wenn sich die meisten damit zufriedengegeben haben. Genau wie wir uns damit zufriedengaben, dass es nun mal "so ist wie es ist", als wir das letzte Mal mit staunenden Augen nach dem „Warum?“ gefragt haben. Doch am Rande des nahenden Endes will ich einen letzten Versuch wagen und fragen: Warum?  

Warum sind wir Menschen? Warum ist der Himmel blau? Warum das Leben grün? Warum die Sonne gelb? Warum das Wasser nass? Warum gibt es alles und nicht Nichts und warum sind wir eigentlich hier?  

Und während unsere antiken Vorfahren genau wie unsere Kleinsten ihr Leben danach ausrichteten, Antworten auf diese Fragen zu finden, interessiert sich der „Erwachsene“ nur noch dafür, sein Hamsterrad am Laufen zu halten. Ob nun Präsident oder Angestellter. Alle sind wir Sklaven eines Systems ohne Sinn, weil es aufgehört hat, danach zu fragen.  

Doch wie gesagt, dies sollen nicht die Gedanken eines wolkenverhangenen Geistes sein. Vielmehr schleicht sich hier ein kleiner Hoffnungsschimmer ein. Denn die Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit ist ein Allgemeingut.

Fest steht, ob unsere Geschichte eine Bedeutung hat oder nicht, liegt nicht in der Hand des einzelnen, sondern ist vielmehr ein Gemeinschaftsprojekt. Sozusagen von einer Hand in die andere. Hand in Hand. Als eine geschlossene Erzählung, die sich nicht mehr mit irgendwelchen Schulterklopfern begnügt, sondern anpackt.  

Denn ob wir uns nun Menschen nennen oder akzeptieren, dass wir keine Ahnung davon haben, was wir eigentlich sind, so ist eines klar:

wir definieren die Bedeutung unseres Daseins darüber, welche Begegnungen wir mit der Welt haben, in welcher wir leben. Es ist das Wechselspiel unterschiedlicher Energien, die das eigene kreieren. Zusammen ist man nun mal weniger allein. Und wer will schon auf ewig Alleinsein.  

So bleibt mir am Ende nur noch eines zu sagen: Ironischerweise blickt mich im Spiegel nunmehr ein weiteres Fragezeichen an. Runzelt die Stirn und fragt sich „Warum?“. Doch zwischen all den Zellen erkenne ich Leben. Leben mit der Fähigkeit, der Welt, in der es vorkommt, Bedeutung zu verleihen, sobald es aufhört, alles für selbstverständlich zu nehmen. Leben, das eine Geschichte erzählt. Eine Geschichte voller Wunder, lautem Chaos und der Magie der Liebe.