Neulich als ich so dasaß

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Vermutlich kennst du das. Du hast einen ganzen Alltag hinter dir, kommst irgendwo per Zufall zur Ruhe. Oft geschieht mir das, wenn ich zwischen der einen und der anderen Aufgabe noch etwas Zeit finde und plötzlich keinen Plan habe, was ich in der Zwischenzeit nun Produktives tun kann. Wie gesagt, vielleicht kennst du das ja. Nun ja, jedenfalls, worauf ich hinaus wollte, es kann dir natürlich überall passieren, das ist ja das Seltsame an diesen Momenten, sie sind nicht planbar. 

Also wie gesagt, ich erzähle dir jetzt einfach von einem Beispiel, dann verstehst du sicher, was ich meine. Erst letztens hatte ich einen jener Momente: 

Ich saß nur so da und überlegte, was ich nun noch machen könnte. Ich hatte gerade irgendwas „Wichtiges“ erledigt, Unterlage für dies oder jenes sortiert, du kennst das ja, irgendetwas von den Sachen, die wichtig sind, aber die einfach nicht so richtig Spaß machen, etwa wie Hausaufgaben. Wie dem auch sei, ich sitze also da und überlege, was ich nun noch machen könnte. Ich hatte noch einige Momente Zeit, bis ich wieder verpflichtet war, irgendetwas anderes zu machen, ich weiß nicht mehr, Abendprogramm nach einem Krisenalltag. 

Nun jedenfalls fällt mir nichts ein. Alles, was es noch zu erledigen gibt, ist entweder zu langweilig und überschreitet mein zeitliches Limit oder ist schlicht uninteressant, da es für den Moment nicht abzuschließen galt. Daher dachte ich, bevor ich nun noch mehr unerledigte Baustellen habe, mach ich einfach mal gar nichts und sitze einfach hier. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Oft sitze ich einfach nur da und lass mich von meinen eignen Gedanken irritieren. 

Das kennst du bestimmt auch. Solche Momente, in denen du total unfähig bist irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, weil sie in deinem Kopf hin- und herrasen und dich mit verdutztem Gesichtsausdruck zurücklassen. Ich nenne sie mal „Hänger“. Ich bin sicher, du hast das auch schon so erlebt. Spätestens in der Schule beim Blackout im Vokabeltest oder in der Mathezwischenprüfung. Wobei, das ist dann schon ein ganz anderes Extrem. Ich rede hier mehr von, sagen wir, Alltagshängern

Ich sitze also da und habe so einen Alltagshänger. Einen kurzen Moment, in dem so viele Gedanken gleichzeitig betrachtet werden wollen, wie die Malbilder, die du als Kind früher deiner Mutter zeigen wolltest. In all der Flut aus unterschiedlichen Stimmen klingt bei so einem Hänger irgendwann meinen eigene Stimme am lautesten und brüllt: Häh! 

Ich bin sicher, auch das kennst du. Das passiert in den letzten Tagen öfter. Du stehst im Supermarkt vor dem leeren Toilettenpapierregal und fragst dich:Häh, was ist mit den Leuten los?“ Es geht dir weniger um eine Antwort, du fragst dich das mehr aus rhetorischen Gründen. Eigentlich bist du fassungslos. Das ganze ist so surreal, dass es wie ein Fehler in der Matrix dein Sprachzentrum blockiert und am Ende nur noch Kopfschütteln dabei raus kommt. Aber mach dir nichts draus, Alltagshänger gehören dazu und ich will dir ja von meinem erzählen. 

Nun, also wie gesagt, ich sitze da, habe nichts zu tun und aufgrund der vielen gleichzeitigen Gedanken habe ich einen sogenannten Hänger. Irgendwann frage ich mich: Wozu das alles? Aber bevor du nun gleich zum Antworten ansetzt, lass mich dir kurz erklären, woran ich gedacht habe, als ich sagte - Alles -. Also als ich so da saß und mich wunderte, dachte ich an das, was ich in der Schule gelernt habe. Das brauche ich hier nicht großartig zu wiederholen. Glücklicherweise ist der Lehrplan seit knapp 50 Jahren kaum verändert, du wirst also wissen, was ich meine. 

Somit dachte ich bei „Alles“ nicht an jede einzelne Aufgabe, sondern eher als Reflexion mit dem Hintergedanken: Was habe ich nun eigentlich gelernt? Und ich weiß nicht wie es dir geht, aber je mehr ich dem Erwachsensein näher gekommen bin, desto klarer wurde mir, dass jenes Wissen aus der Schule lediglich dazu gut ist, einem System die Grundlage zu stellen, das erwiesenermaßen alt und längst überholt ist. Sozusagen die Anleitung zum Unglücklich sein. 

Es ging mir bei dem Gedanken nicht darum, alles an der Schule schlecht zu finden. Es gab durchaus die schönen und wichtigen Momente meiner Schulzeit, doch kann ich mich nicht daran erinnern, dass diese vermehrt im Klassenzimmer stattgefunden haben. Nun egal, wie dem auch sei, ich dachte also: Nein, in der Schule habe ich nicht gelernt, was Leben ist, was es heißt eine Geschichte zu haben und über diese hinauszuwachsen. In der Schule habe ich gelernt, mich anzupassen und dabei verlernt, frei zu sein. 

Doch nicht nur der Schule galten meine Gedanken, auch alles darüber hinaus. Ich gedachte meinen ersten Jobs, die alle ein ähnliches Gefühl wie das der Schule hervorriefen. Ebenso die weiterführenden Lernanstalten. Alles blickt von oben zu dir herab und macht dich für deine Größe verantwortlich, obwohl dir nie einer gezeigt hat, wie man wachsen kann. 

Das ist ja das eigentlich Wahnsinnige an dieser Welt. Alle fühlen das gleiche und dennoch muss immer genau so weiter gemacht werden. Es gibt immer einen Grund sich unhöflich zu verhalten, gut ist er deswegen nicht. Naja also worauf ich hinaus wollte, ich sitze also da und hänge in meinen Gedanken. Ich denke darüber nach, was ich in der Schule gelernt habe, wie mir die Welt begegnet, seit ich in ihr umherspaziere und was ich so im Allgemeinen über die Welt denke. 

Dabei denke ich nicht nur darüber nach, was ich bis zum heutigen Tage alles gelernt habe. Ich denke auch darüber nach, was das alles bedeuten könnte. Also ganz allgemein gefragt: Häh

Ich blicke also auf diese Welt und habe so fast alles dazu im Kopf, was ich über sie weiß, und denke mir: „Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn! Ich weiß nicht, ob es dir schon mal so gegangen ist, aber wenn du in derselben Welt lebst wie ich, dann solltest du das kennen. Also der Grund, warum ich auf diesen Gedanken kam, war jener. Ich weiß nicht wie es dir geht, aber mir konnte bis heute niemand sagen, was der Sinn des Lebens ist. Klar diese Standardantwort wie „Das Leben hat keinen Sinn, bevor du nicht einen erschaffst“ kennen wir alle, aber das ist nicht das, worauf ich hinaus will. 

Ich meine, das ist doch keine Antwort! Was genau soll mir das jetzt sagen? Das ist eines von jenen Wandtattoos, die sich über IKEA Sofas super machen, aber einem keine Hilfe sind, wenn man von Fixkosten zu Fixkosten lebt und dabei versucht, dem in der Schule eingetrichterten Ideal von einem glücklichen Leben hinterherzukommen. Leben in einem Sharktank. Es sagt viel über uns aus, solche Ideale in den Händen jener zu sehen, die an den Hebeln der Macht stehen. 

Sei es drum, ich denke du weißt, was ich sagen will. Ich meine, hast du schon mal eine wirkliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn von all dem hier bekommen? Manchmal denke ich, die Menschen verhalten sich alle deswegen so seltsam, weil sie einfach aufgehört haben Dinge in Frage zu stellen. Ich meine klar, du musst den Sinn deines Lebens schon selbst irgendwie finden, aber heißt das deswegen, dass unsere Welt sinnlos sein muss? 

Ich sehe mich um und sehe nur Unsinn. Ich sehe Politiker. Keiner sieht aus, als sei er auf der Suche nach dem Glück einen Schritt weiter gekommen. Machtkämpfe und Korruption zeichnen sich in Gesichtern ab und lassen sie alt und grau werden. Oder orange. Und wir tun so, als würden wir es nicht sehen, aber mal im Ernst, wir wissen alle, dass die Aussetzer bei Politikern nicht auf Wassermangel zurück gehen, sondern oft handfeste Psychosen dahinterstecken. 

Ich drehe den Blick in die Richtung der Beamten. Ich mag mich täuschen, aber die Gilde der Beamten ist im Allgemeinen nicht jene, die uns als Vorbilder eines glücklichen Lebens voranschreiten. Wie auch, wenn sie unter einer Politik rödeln, die keine Freiheiten zulässt. Doch ein Teil jener Beamten bildet unseren Nachwuchs aus. Sollten sie da nicht etwas von Glück verstehen, wo sie uns doch auf das Leben vorbereiten? 

Ich weiß nicht ob du mir bis hier hin folgst oder eine andere Meinung hast. Ich schätze aber unabhängig davon wirst du mir zustimmen, dass weder in der Politik noch in unserer Ausbildung ein tieferer Sinn liegt. Mit Tiefe meine ich das, worauf es am Ende ankommt, wenn du nach einem langen Leben zurückblickst und dich fragst, ob es das wert war. 

Gut, machen wir weiter, ich will dir ja noch erzählen, worauf ich hinaus will. Jedenfalls, ich drehe den Blick erneut und betrachte die Wirtschaft, ohne jetzt hier weiter ins Detail zu gehen. Unsere Wirtschaft basiert auf patriarchalen Machtstrukturen, die erwiesenermaßen weniger effizient und gesundheitsschädlich sind, verglichen mit Unternehmensstrukturen, die auf Teambildung Wert legen und eine gemeinsame Unternehmensvision teilen. Aber ja, wir müssen trotzdem besser sein als die anderen. Einfach weil unsere Wirtschaft im allgemeinen kapitalistisch ist. Und wir wissen alle, wo das hinführt, in den absoluten Nonsens. 

Und ich sage dir noch etwas, schau sie dir an, die Gewinner unserer Gesellschaft. Blockieren mit Geländefahrzeugen Supermarktparkplätze und horten Toilettenpapier. Ich bin nicht hier um zu verurteilen, dazu müsste ich es ja besser wissen. Aber schau sie dir an. Angst zeichnet die Falten in ihrem Gesicht. Sorge um ihr Hab und Gut. Hysterie darüber, nun nicht mehr am besseren Ende der eingekauften Nahrungskette zu stehen und nun verzichten zu müssen. 

Nun, ich erspare dir weitere Einzelheiten. Ich schätze du hast gemerkt, worauf ich hinaus wollte. Zu guter Letzt das Thema Ressourcen. Doch das erspare ich uns jetzt einfach mal, weil es jedem bekannt sein dürfte. Zumal unsere wichtigste gerade an der Belastungsgrenze kratzt. Unser Gesundheitssystem. Die Gesellschaft der Menschen ist genau so eingebildet, wie ihr momentaner Gesundheitszustand. Früher hieß es immer werde Arzt, Anwalt oder was auch immer. Heute sehe ich Anwälte, die Ärzte aus Profitgier verklagen und Ärzte überteuerte Medikamente im Sinne der Gesundheit verkaufen, während der eigentlich Apparat aus Helfern, Schwestern und Pflegern am Existenzminimum nagt. 

Da kann ich nicht anders, und du wirst das verstehen, als den Zusammenhang zu jedem individuellen Körper zu sehen. Und damit will ich nun auch zu einem Ende kommen. Alles, was ich bisher beschrieben habe, wird deutlich, wenn wir unseren Körper betrachten und den unserer Mitmenschen. Unser System ist so krank, wie jeder einzelne, und wer würde heute schon sagen: „Mir geht es super, nur ein bisschen weniger Energie und Lebensfreude wären angenehm.“ Stattdessen hat jeder immer irgendwas. Oder eben irgendwas ist immer. 

In Ordnung. Ich schätze du bist mir bis hierhin gefolgt. Einfach weil du ja immer noch liest. Danke nebenbei, ich weiß, ich rede schon lange. Aber kommen wir zum Schluss, dann sind wir auch gleich fertig mit der Geschichte. Also, was ich sagen will. Ganz egal, wohin ich schaue, springt mich der Irrsinn an. Der Wahnsinn um mich herum. Ich blicke in eine Welt, in der ich nur Chaos um mich herum erblicke und jeder meint er wüsste es besser, obwohl offensichtlich keiner eine Ahnung von irgendwas hat. Da haben wir den Salat. Wenn jeder seinen eigenen Sinn zum Glücklichsein braucht, kommt am Ende nur oberflächlicher Schwachsinn dabei raus. Danke Wandtattoo.

Würde es nicht mehr Sinn machen, der Welt zusammen Sinn zu verleihen? Also gemeinsam sich einmal hinzusetzen und zu überlegen: „Wo wir doch alle im selben Boot sitzen, keiner von uns wirklich glücklich ist, selbst die Mächtigsten an ihren Krankheiten dahingerafft werden und niemand eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn hat - würde es da nicht Sinn machen mit all den chaotischen Hamsterrädern anzuhalten, innezuhalten, und sich zu fragen, was wir hier eigentlich machen?

Am Ende bleibt mir also nur noch eines zu sagen. Wenn du weißt was ich meine, wenn du dich unverstanden fühlst und dir denkst, die ganze Welt ist bekloppt, weil alle Liebe wollen aber keiner die Bedeutung davon erfragt, dann sei dir gewiss, wir sind viele. Vielleicht sogar alle, wenn auch die letzten von uns nach höherem Fragen. 

Nun und um diese Geschichte zu beenden, das Finale. Wie ich also da saß und jene Gedanken hatte, fiel mir auf, dass gerade Ausgangsperre ist. Da dachte ich, du sitzt doch gerade wahrscheinlich auch zuhause und langweilst dich. Oder vielleicht hast du sogar ein neues Hobby angefangen, oder zumindest Netflix durchgeschaut. Jedenfalls hast du aufgehört mit diesem gesellschaftlichen Wahnsinn und fragst dich im Moment vielleicht dieselben Fragen wie ich. 

Also, wie wäre das? Stell dir vor, nicht nur du, sondern der ein oder andere mehr. Vielleicht sogar schon ein paar, die gerade so wie du da sitzen und dieselben Gedanken haben. Ließe sich damit nichts anfangen? Könnten wir nicht mehr werden? Könnten wir uns nicht „zusammen setzen“? Könnten wir uns nicht verbinden und uns fragen: „Was machen wir? Was wollen wir? Wer sind wir? Und wo wollen wir hin?“ 

Vielleicht ist das nur ein verrückter Gedanke. Vielleicht Träumerei.

Aber anderseits habe ich gerade nichts anderes zu tun, und mal unter uns, etwas anderes macht sowieso keinen Sinn.