Gespräch mit einem klugen Menschen (Homo Sapiens)

Ich stehe im Dschungel. Hinter mir rauscht ein beschaulicher Wasserfall und hüllt die Szene in ein angenehm wildes Klima. Neben mir Hector, mein Führer in dieser unbekannten Gegend. Wir sind eine kleine Weile irgendwo in den Dschungel geritten. Entlang und durch einen kleinen Fluß, vorbei an brüllenden Affen und urinierenden Zikaden. Das sind Grillen von der Größe einer Maus und der Lautstärke einer Autoalarmanlage. Wer sich über den Großstadtlärm in der Innenstadt beschwert, war noch nie im Dschungel. Presslufthammer sind ein Scheiß dagegen. Das Leben hier ist eine Herausforderung. Die Natur steht vor einem und zwinkert einem zu. Mit blutroten Lippen und einem Kleid aus schöneren Farben, als du sie je in einem Modemagazin gesehen hast, fordert sie dich verschmitzt lächelnd zum Tanz auf. Ob du dich darauf einlässt oder nicht liegt bei dir, doch in jedem Fall wird sie führen. Gibst du ihr jedoch nach und fühlst ihren Rhythmus, bringt sie dich dahin, wo du glücklich bist. Stellst du dich ihr in den Weg, versucht sie es erneut und erneut, bis ihr beide nicht mehr stehen könnt. Doch sie wird sich wieder erheben, du nicht. 

 

„Schau, ein Pfeilgiftfrosch!“, ruft Hector entzückt und bückt sich zu dem zierlichen Wesen am Boden. Der kleine Kerl ist kaum größer als mein Fingernagel und hüpft gefährlich nah an meinen Schuhen vorbei. Hector streckt seinen Arm aus und reicht ihm die Hand. 

„Sind die nicht hochgiftig?“, frage ich Hector, als ich mich zu ihm knie.

Doch sind sie, jedoch nur, wenn das Gift ins Blut kommt. Wenn du keine Verletzung an der Hand hast oder du es dir nicht ins Auge reibst, kann nichts passieren“, schmunzelt er. „Außerdem produzieren sie kaum Gift, wenn sie sich nicht bedroht fühlen“, fügt er noch ergänzend hinzu, als der rote Fleck vom Boden auf seine Hand hüpft. Hector hebt seine Hand und streckt sie in meine Richtung. Der kleine Frosch versucht, währenddessen seine neue Umgebung zu inspizieren und klettert zwischen den Fingern herum. Auf der Handoberfläche angekommen, hält er inne und betrachtet jeweils einen von uns mit jeweils einem Auge. Grinsend strahlen wir zurück. Ich bemerke, dass Hector noch mehr zu strahlen scheint als ich. Wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Frosch sieht. Der Frosch sonnt sich sichtlich in dem neuen Rampenlicht und hält still. Sein Rot ist derart intensiv, dass man ihn trotz seiner Größe eigentlich sofort sehen müsste. Doch dem geschulten Großstadtblick entgeht sowas schnell, wenn der Fokus noch in falschen Urteilen festhängt. 

 

Behutsam setzt Hector ihn wieder auf den Boden, von wo er erst zögerlich davon hüpft. Fast so, als ob er sich gerne noch etwas länger an unserer Aufmerksamkeit gewärmt hätte. Auch Hector scheint sichtlich gerührt von dieser Begegnung, bis er sich löst und wir weiter am Wasserfall herumstreunern. Als ich ihn frage, wie sauber das Wasser hier ist, zeigt er mir einen kleinen Flusskrebs, der sich sofort an seiner Hand zu schaffen macht. „Die halten das Wasser hier sauber. Allerdings können sie auch nur in sauberem Wasser leben. Deswegen sind sie auch so ein verlässliches Zeichen von sauberem Wasser.
Das Gleichgewicht muss stimmen“
, erklärt er mir. Der kleine Krebs reinigt währenddessen Hectors Hand. Nach kurzer Zeit winkt er ihn vorsichtig ab, erfrischt sich mit einer Hand voll Wasser und steht auf.
Wir gehen ein paar Schritte und kommen auf einem größeren Stein, der das Wasser in eine Kurve biegt, zum Stehen.  

 

„Was ist für dich Glück?“, frage ich Hector. Etwas irritiert blickt er mich an und muss überlegen. Nach kurzer Zeit weiten sich seine Augen und ich sehe Klarheit in seinem Blick. „Das hier!“, sagt er beherzt. „Das Leben hier, meine Arbeit, all das!“ 

Ich muss schmunzeln. „Hast du dir diese Frage noch nie gestellt?“, frage ich ihn weiter. „Nein, bisher nicht, wieso auch, ich bin es ja“, lacht er mich an. Als mir klar wird, wie seltsam meine Frage für ihn geklungen haben muss, lache ich auch. 

 

„Die Menschen in meiner Heimat stellen sich diese Frage auch nicht. Allerdings sind sie meistens nicht glücklich“, entgegne ich ihm mit einem Stirnrunzeln. „Bei uns sucht man sich schon am besten während der Schule einen Job. Den macht man dann die nächsten 45 Jahre, weil man Geld verdienen muss. Währenddessen schafft man sich ganz viel Verpflichtungen an, weshalb man dann den Job auch nicht wechseln kann, selbst wenn er einen unglücklich macht. Meistens sind das auch noch Berufe am PC, also am Schreibtisch im Sitzen. Viele bekommen davon auch noch Rückenschmerzen“, berichte ich weiter.

 

Etwas ratlos blickt Hector mich an. Er überlegt wieder eine kleine Weile, bis er ansetzt: „Weißt du, die Menschen wählen oft schon früh einen Beruf, nur um einen Beruf zu haben. Er soll nicht zu anstrengend sein und möglichst viel abwerfen. Mit so wenig Arbeit wie möglich das meiste herausholen. Doch so findet man nicht, was einem wirklich Spaß macht. So findet man nur irgendwas. Das ist dann vielleicht nicht so anstrengend, weil man körperlich nicht viel machen muss. Oder man einfach viel sitzen kann, aber es ist eben nur irgendwas. Wenn man seinen Beruf so wählt, ist er eher Arbeit als Berufung. Und Arbeit ist immer anstrengend.“ 

 

„Aber schau dich an“, entgegne ich ihm. „Deine Arbeit ist sehr anstrengend. Du schlägst dich durch den Dschungel, kümmerst dich um zwei Dutzend Pferde, bist ständig körperlich am Arbeiten und das bei Temperaturen, die ganzjährig bei 30 Grad liegen, wobei es acht Monate im Jahr regnet wie im Urwald.“ 

 

Hector muss lachen. „Natürlich ist mein Beruf anstrengend, aber ich bin mit Pferden aufgewachsen. Ich liebe diese Tiere und wir können so viel von ihnen lernen. Sie verstehen die Menschen oft besser, als die sich selbst. Ein Pferd spürt, ob du Angst hast, wenn du auf ihm sitzst und durch den Dschungel reitest. Ebenso kann es dich besser beim Reiten einschätzen, als du dich selbst. Und es wirft dich ab, wenn du es nicht gut behandelst. Weißt du, wenn du liebst, was du machst, ist es zwar ebenso anstrengend, aber schau mich an, ich bin 43. Hatte und habe keine körperlichen Schmerzen. Bin gesund und ich liebe meinen Job, meine Pferde, meine Natur, mein Leben und das Meer. Das Leben hier ist körperlich anstrengend, aber dein Kopf ist dabei frei und dein Körper dadurch gesund. Außerdem ist es eben nur anstrengend, wenn du darüber nachdenkst. Pferde zu reiten, zu dressieren, den Dschungel auszukundschaften und immer wieder Faszinierendes zu sehen, ist alles körperliche Anstrengung, aber sei ehrlich, wie fühlst du dich?“

 

Die Frage überrascht mich. Im Schweiße meines Angesichts stehe ich da und muss überlegen. Ich fühle in mich hinein. Die Haare kleben an meiner Stirn wie meine Klamotten an meinem Körper. Der permanente Dschungeldampf aus Insektenurin und aufgeheizter Regennässe umgibt mich wie eine zweite Haut. Meine Beine und mein Po schmerzen und der ein oder andere Kratzer unbekannten Ursprungs ziert meine Arme. Alles in allem wäre eine Dusche mehr als angebracht, doch ich muss gestehen, 

 

„Ich bin glücklich!“, antworte ich ihm endlich. 

 

Da hast du es, wenn du glücklich bist und Spaß hast, ist nichts anstrengend. Genau wie Kinder auch ohne Pause spielen können, kannst du auch ohne Pause erleben, wenn es dir Spaß macht“, sagt er mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht. „Und vor allem die Berufe mit Lebewesen machen Spaß, weil Lebewesen immer dankbar sind, wenn du ebenso dankbar bist. Egal ob Mensch, Tier oder Pflanze. Bist du gut zu ihnen, sind sie gut zu dir!“

 

Ich danke Hector für dieses Gespräch und wir gehen wieder in Richtung unserer Pferde. 

 

"Ob du dich darauf einlässt oder nicht liegt bei dir, doch in jedem Fall wird sie führen. Gibst du ihr jedoch nach und fühlst ihren Rhythmus, bringt sie dich dahin, wo du glücklich bist“, geht mir durch den Kopf, während ich einen letzten Blick Richtung Wasserfall richte.

 

Alles fließt, ob du willst oder nicht. 

 

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